Heute mal kein Film – OK, kein richtiger Film, es
gab ja dennoch Videoprojektionen während des gesamten Konzerts. Konzert?
Ja, genau. Ein Konzert. Aber nicht irgendein
Konzert.
Im schönen Jahre 1978, als man noch Konzeptalben
veröffentlichte und es Progressive Rock gab, brachte Produzent und Komponist
Jeff Wayne "The War of the Worlds" heraus, eine musikalische Version
des SF-Klassikers von H.G. Wells. Da war damals alles dabei, was Rang und Namen
hatte: Justin Hayward von The Moody Blues, Chris Thompson von Manfred Mann's
Earth Band und Phil Lynott von Thin Lizzy. Und natürlich Richard Burton als
Erzähler.
2006 ging Wayne dann auf Tour, mit einer dem Anlass
angemessenen großen Band und eigener Streicher-Sektion. Ich habe mir damals
ernsthaft überlegt, nach England zu fliegen und mir die Show dort anzusehen.
Umso erfreuter war ich, als die Tour 2010-2011 auch nach Deutschland kommen
sollte. Leider wurde alle Konzerte hierzulande abgesagt, aber für 2012-2013
wurde eine weitere Tour angekündigt. Und dafür würden meine Tickets gelten.
Aber auch diesmal: abgesagt. Und als Kompensation
die Möglichkeit, stattdessen Chris deBurgh zu sehen. Leute, bitte. Als ob das
ein Vergleich wäre. Meiner Findigkeit habe ich es zu verdanken, dass ich Karten
für Nürnberg bekommen habe.
Dann: es wird nicht die originale Version
aufgeführt, sondern "The War of the Worlds – The New Generation" –
was ist das für eine neue Teufelei?, dachte ich mir.
Es gibt tatsächlich ein neues Album, nicht zuletzt,
weil keiner der Original-Sänger mehr dabei ist. Anstelle derer kommen nun Leute
wie Gary Barlow, Ricky Wilson und Liam Neeson als Erzähler zum Zuge. Und die
sind nicht schlecht. Kommen aber nicht an das Original heran.
Das Konzert beginnt mit einem kleinen Prolog, in dem
sich zwei Amateur-Astronomen (einer politisch korrekt eine Frau) darüber
wundern, was da für komische grüne Gasausbrüche auf dem Mars zu sehen sind. In
einem CGI-Video erfahren wir dann mehr: die Marsianer haben alle Ressourcen
ihres Planeten ausgebeutet und nehmen sich nun den Nächsten vor, die Erde.
Dummerweise ist die ja schon bewohnt, also muss man sie von ihren Bewohnern
befreien.
Fun Fact: das Intro basiert auf demjenigen aus dem
TWOTH-Computerspiel für den PC von Rage aus dem Jahre 1998.
Hinter der Bühne befindet sich eine 24 Meter breite
Projektionswand, auf der während der gesamten Show Videos zeigen, was passiert.
Anders als Richard Burton, für den es in den vorherigen Touren einen riesigen
Kopf gab, auf den dann die Mimik projiziert wurde, hat Liam Neeson einen
eigenen Monitor, unter dem in Deutschland Übersetzungen der Texte angezeigt werden.
Je nach Situation taucht er auch auf dem großen Schirm auf oder als
3D-Hologramm auf der Bühne, um etwa mit den Sängern zu interagieren. Wobei
schon aus der Entfernung, in der ich zur Bühne gesessen hatte, vielleicht zehn
Meter, man nichts mehr von wegen 3D erkennen konnte. Die CGI-Sequenzen wurden
im Vergleich zu den letzten Malen überarbeitet, aber nur in Details. Wer die
Show schon mal gesehen hat, wird alles wiedererkennen. Man könnte auch sagen:
so gut wie nix Neues.
Das erste Musikstück beginnt, "The Eve of the
War". Einige Synthesizer sind neu, die ersten paar Takte unterlegt ein
elektronischer Beat, bis dann das reguläre Schlagzeug einsetzt. Das schöne
Cembalo aus dem Original wird durch Keyboards ersetzt, ansonsten sind die
Änderungen homöopathisch, ebenso bei den "neuen" Texten, in denen
zuweilen ein Satz ergänzt wird oder das eine oder andere Wort ausgetauscht.
Marti Pellow, Sänger von Wet Wet Wet, singt "The Chances …" leidlich
gut, ihm fehlt jedoch das Heldenhafte in der Stimme, das Justin Hayward auszeichnet.
"Horsell Common" bekommt ein zusätzliches,
neues Gitarrensolo am Ende – musste nicht sein, ist aber auch nicht verkehrt.
Hier bekommen wir dank Hitzstrahl dann das erste Mal Pyrotechnik zu sehen, der
gesamte vordere Bühnenrand lässt sich unter Flammen setzen. Der Hitzstrahl wird
durch eine Gitarre akustisch simuliert, sehr gelungen. Das Stück setzt die
steigende Spannung durch das Arrangement treffend um.
Nun mein absolutes Lieblingsstück, "The
Artillery Man and the Fighting Machine", in dem die dreibeinige
Kampfmaschine von der Decke herabgelassen wird und das Bühnenbild dominiert.
Passend zur Musik feuert sie mit einem Flammenwerfer auf das Publikum, dazu
passende auf dem Boden platzierte Rauchbomben zeigen die Einschlagsorte an, mit
pilzförmigen Rauchwolken. Laut und hübsch. Als die Kampfmaschine beschossen
wird, explodieren pyrotechnische Ladungen auf ihr, auch sehr nett anzusehen.
Ricky Wilson macht einen guten Job als Artillerist
und läuft zum Schluss durchs Publikum, damit ja jeder vor den Marsianern
gewarnt wird. Auch hier: die Musik klingt genauso wie das, was sie ausdrücken
soll: Kampf, Tod und Vernichtung. Erzeugt durch Tempo- und Harmoniewechsel, ein
Klassiker.
"Forever Autumn", die melancholische
Ballade aus "The War of the Worlds", gefällt mir im Original besser,
auch wenn Pellow sich leidlich bemüht.
Ha, und wer hätte es gedacht, es fallen tatsächlich Herbstblätter von
der Decke.
Vom heldenhaften Kampf eines Kriegsschiffes, das
sich zwischen die Marsianer und einem überfüllten Flüchtlingsschiff stellt,
erzählt "Thunder Child". Will Stapleton trägt das Stück erträglich
vor, aber auch hier macht es Chris Thompson im Original einfach besser.
Und, man hat es kaum gemerkt, schon ist der erste
Teil vorbei. In der Pause schrauben einige Leute an der Kampfmaschine herum,
die ihre Beine nicht ganz ausfahren wollte.
Im Zweiten Akt neu eingefügt wurde ein meiner
Meinung nach völlig überflüssiger imaginärer Dialog zwischen dem Journalisten
(dem Erzähler) und seiner Verlobten, die auf besagtem Schiff geflohen ist, die
sich beide fragen, was der andere wohl gerade tut.
Die Erde hat sich quasi den Marsianern ergeben, und
nun wuchert eine marsianische Pflanzenart, das "Red Weed", im ebenso
genannten Stück die Landschaft zu. Laut Jeff Wayne das Stück auf das er am
stolzesten ist, meiner Meinung nach das schauerlichste auf der Platte.
Als nächstes haben Jason Donovan (genau, der mit
Kylie Minogue in den Achtzigern ein Duett gesungen hat) und Kerry Ellis in
"Spirit of Man" ihren Auftritt als der geistig leicht derangierte
Parsoner samt Ehefrau. Beide machen ihren Job gut, besonders Donovan hat mir
gefallen. Aber auch er kommt nicht an Phil Lynott heran, der im Original so
herrlich wahnsinnig klang.
Der Journalist begegnet dann wieder dem
Artilleristen, der sich in einem Herrenhaus eingenistet hat, um dort seiner
leicht faschistioden Vorstellung einer unterirdischen "Brave New
World" (so auch das Lied) zu frönen und dem Journalisten stolz zu zeigen,
was er schon alles gemacht hat: einen gut drei Meter langen Tunnel, für den er
eine Woche gebraucht hat. Das gesangliche Highlight der Show, vorgetragen von
Ricky Wilson von den Kaiser Chiefs. Unser Erzähler wandert dann weiter nach
London, angewidert von dem Mann, der hauptsächlich gut darin ist, große Reden
zu schwingen, weniger darin, etwas zu machen (ein Phänomen, das auch heutzutage
häufig zu beobachten ist ).
Im ausgestorbenen London nun das Finale, in welchem
der Journalist nun keine Lust mehr hat sich zu verstecken und sich seinem
Schicksal ergeben will – nur um zu erkennen, dass die Marsianer alle gestorben
sind. Und zwar an simplen, fiesen Krankheiten, die es auf dem Mars schon lange
nicht mehr gibt.
Der damals schon von Wayne hinzugefügte Epilog zeigt
nun eine Marsmission in der Zukunft. Blöderweise haben die Marsianer aber gar
keine Lust, sich von uns besuchen zu lassen.
Warum habe ich jetzt im Prinzip alles erzählt? Um zu
zeigen, wie die einzelnen Stücke die Handlung tragen. Die Musik ist immer noch
großartig, auch nach fast 35 Jahren. Damals wohl live nicht aufzuführen gibt es
heute die notwendige Technologie. Das war übrigens mein erstes Konzert in Dolby
Digital, auch hinten standen zwei Line-Arrays. Der Sound war durchgehend gut,
wenn auch teils etwas zu laut, und dank der Klangcharakteristik einiger Stücke
etwas verzerrt. Aber wann kann man schon mal "The War of the Worlds"
auf einer ordentlichen Anlage so schön laut hören?
In Nürnberg war das letzte Konzert der Tour, und wer
weiß, ob es noch eine nächste gibt. Falls ja: unbedingt ansehen.